Neue Formen der Erschöpfung

Burn-out ist nicht gleich Burn-out

Ein Schwerpunkt meiner Arbeit in meiner Coachingpraxis und in Onlinecoachings ist, mit meinem Intensivcoaching Menschen zu begleiten, die nachhaltig aus Burn-out, Stress und Erschöpfung herauskommen möchten. Einige von ihnen hatten ein „klassisches Burn-out-Syndrom“, wenn man nach der Definition der WHO im ICD (International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems) geht. Diese definiert Burn-out im 2022 erscheinenden ICD-11 erstmals konkret, und zwar als „resultierend aus chronischem Stress am Arbeitsplatz, der nicht erfolgreich verarbeitet werden kann“ (Übersetzung EMP). 

Und dann gibt es die anderen, die nicht unter diese Definition fallen, in meiner Wahrnehmung aber die Mehrheit bilden. Es sind Menschen, deren Überlastung nicht ausschließlich vom Job kommt. Manche erleben Schicksalsschläge oder persönliche Krisen, die sie so beuteln, dass sie diese psychische Belastung in Kombination mit ihren Alltagspflichten schlicht und einfach überfordert. Häufig sind Frauen betroffen, die enormen Druck und Stress erleben, weil sie Job und Familie unter einen Hut bringen, und zwar ihrem Anspruch entsprechend gut, und dabei die Bedürfnisse anderer permanent über ihre eigenen stellen. 

Mental-Load, die Last der Mütter

Wenn Mütter von der Überlastung betroffen sind, spricht man in der Regel von Mental Load. Der Begriff wurde von der französischen Illustratorin Emma geprägt. In ihrem Cartoon „You should‘ve asked“ hält sie fest, was Mütter rund um die Uhr gedanklich und tatsächlich leisten, um den Familien-Betrieb am Laufen zu halten, all die permanente unsichtbare Arbeit, die in ihren Köpfen abläuft: Wer bringt Maja zum Kindergeburtstag, wann besorge ich ein Geschenk, was kochen wir morgen, haben wir noch etwas fürs Pausenbrot im Kühlschrank, ich muss noch einen Termin für Leo für die U9 machen, ach ja, und der Elternabend am Mittwoch … Natürlich gibt es auch Väter, die all das leisten, der Großteil der Familienarbeit liegt aber laut einer aktuellen Oxfam-Studie weltweit nach wie vor bei den Frauen.

Egal wie man es nennt, ob Mental Load, Manager- oder Mütter-Burnout, egal ob pflegebedürftige Angehörige, eine Erkrankung oder ein Todesfall der (Mit-)Auslöser für die Überforderung und Erschöpfung sind, das Ergebnis ist praktisch das gleiche: Die Last ist zu groß, sie überschreitet das Maß dessen, was man aushalten und tragen kann so sehr, dass man irgendwann unter ihr zusammenbricht, wenn man nicht gegensteuert. 

Meine Beobachtung nach über einem Jahr Corona ist: Die Erschöpfungs-Problematik in unserer Gesellschaft hat sich verschoben. Erfreulicherweise nicht nur zum Negativen. Ich habe Klienten, für die die Folgen der Corona-Pandemie durchaus positive Seiten hatten. Diejenigen, deren beruflicher Overload mit einem Übermaß an Geschäftsreisen und Abend- und Wochenendterminen zu tun hatte, schlugen drei Kreuze, als das alles erst mal nicht mehr möglich war, und waren dankbar für Homeoffice, Videocalls und dafür, endlich mal nicht jede Woche von München nach Frankfurt nach Berlin und zurück hetzen zu müssen.

Neue Formen der Erschöpfung: "Corona-Load" und Post-Covid

Doch dann gibt es da noch die anderen, für die sich leider nichts zum Positiven änderte. Diejenigen, die sowieso schon mit der Mehrfachbelastung aus Job und familiären und privaten Verpflichtungen zu kämpfen hatten. Ihre Probleme hatten sich durch den "Corona-Load", wie ich ihn nenne, verschärft, und zwar massiv. Zwar mussten sie sich im Lockdown wenig Gedanken über Kindergeburtstage, Freizeitgestaltung und darüber, wie der Sohn in die Musikschule kommt, machen. Dafür mussten sie in häufig dafür ungeeigneten Wohnungen Homeoffice und Homeschooling in unterschiedlichen Jahrgangsstufen bewerkstelligen, unausgeglichene, gelangweilte Kinder, die ihre Freunde vermissten, bei Laune halten, drei Mahlzeiten am Tag vor- und nachbereiten und wenn das endlich erledigt war, abends „in Ruhe“ die liegengebliebenen Mails erledigen etc. Für eigene Bedürfnisse bleibt da wenig bis keine Zeit. 

Und es ist noch eine dritte Gruppe hinzugekommen: Menschen, die durch Long-Covid unter extremer Erschöpfung leiden. Im Oktober 2020 bekam ich erstmals in diesem Zusammenhang eine Coaching-Anfrage, und es blieb nicht die letzte. Ob ich ihr vielleicht helfen könne, fragte die Frau am anderen Ende der Leitung. Sie habe mich über meine Website zum Burnout-Nachsorge-Coaching gefunden. Sie habe zwar keinen Burnout gehabt, aber nach einer Covid-Erkrankung kämpfe sie seit Wochen mit Erschöpfung, die sie so nicht kenne, und sie komme einfach nicht wieder auf die Beine. 

Erschöpfung verlangt nach Akzeptanz und Ressourcen

Wir vereinbarten einen Termin für eine Standortbestimmung, um uns das Thema genauer anzusehen. In einer guten Stunde Online-Coaching fanden wir heraus, wie sich die Erschöpfung äußerte, wann sie in der Regel auftrat, inwiefern sie Frau L. in ihrem Alltag behinderte und wie sich das alles auf ihre Stimmung auswirkte. Frau L.s Überlastung war weniger in den äußeren Umständen begründet als in den Nachwirkungen ihrer Erkrankung. Deshalb arbeiteten wir in drei darauffolgenden Sitzungen daran, die Erschöpfung zunächst anzuerkennen und anzunehmen, wir sahen uns an, wie und wo sie sich in bestimmten Situationen Unterstützung holen konnte und wie sie sich mittels Mental- und Achtsamkeitstechniken besser entspannen konnte. An der Erschöpfung selbst ließ sich nichts verändern, aber am Umgang mit ihr, und das hat Frau L. nachhaltig geholfen. Noch immer ist ihre alte Belastbarkeit nicht wieder ganz hergestellt, aber sie kann das nun akzeptieren und besser damit umgehen.  

Ich merke sowohl in meiner Coachingtätigkeit als auch in meinem privaten Umfeld, wie auch der Corona-Load aus Ängsten, Sorgen, Einsamkeit, Mehrfachbelastung und Lockdown-Müdigkeit seine Spuren hinterlassen hat. Gerade atmen viele auf, aber einige spüren auch gerade jetzt, da etwas Entspannung eingetreten ist, die Nachwirkungen dessen, was sie geleistet haben.

Wenn ich meinen Klienten die Vor- und Nachteile von Stress aufzeige, greife ich meist zu ein paar Hauhaltsgummis, die zu Demonstrationszwecken auf meinem Schreibtisch liegen. Wenn ein Gummiband dauerhaft auf Höchstspannung ist, reißt es irgendwann. Wenn es nie in Spannung ist, wird es hart, unflexibel, porös und bricht. Optimal ist ein Wechsel aus Entspannung und Anspannung, und so ist es auch in unserem Leben.

Bei Überspannung hält ein Gummiband meist so lange, wie es gespannt ist. Erst wenn es eine kurze Entspannung gibt und man dann wieder anzieht, ist meist der Zeitpunkt gekommen, an dem es reißt. Ein ähnlicher Mechanismus ist auch häufig bei Stresserkrankungen erkennbar: Wir funktionieren, solange wir müssen, erst danach kommt meist der Zusammenbruch.

Wenn wir vermeiden wollen, dass wir es neben dem erkrankungsbedingten Post-Covid-Syndrom künftig auch noch mit einem Post-Corona-Syndrom im Sinne einer ausgebrannten Gesellschaft zu tun haben, sollten wir beginnen, aktiv gegenzusteuern: Das beginnt damit, Erschöpfungszustände ernst zu nehmen und zu akzeptieren, statt weiterhin über die eigenen Grenzen zu gehen, und dann die Akkus gezielt wieder aufzufüllen - und sich dabei gegebenenfalls Hilfe holen. Entspannungstechniken wie beispielsweise Waldbaden können helfen, sich wieder mit sich selbst zu verbinden und sich selbst und die eigenen Bedürfnisse wieder besser zu spüren.

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Herzliche Grüße, geben Sie auf sich acht!

Ihre Eva-Maria Prokop

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